Was hat einen Erinnerungswert? Das, was beeindruckt. Beeindruckt durch seine Materialität.
Die Un-beständigkeit des Materials bedeutet seine „Gebrechlichkeit“. Gerade in dieser Schwäche liegt die affektive Nähe vom Mensch zum Material, es erinnert an die eigene Vergänglichkeit.

 

Zeit ist etwas, wodurch sich alle unsere Erlebnisse in eine Ordnung des Zuvor und Danach einfügen. Die Zeit geht vorüber, sie verfließt, man spricht vom „Lauf der Zeit“. CARPETED CARPET symbolisiert allgemein zwei Zustände des Materials. Man kann sich den abgetretenen Teppich in seinem „neuen“ Zustand vorstellen, genauso die neue Lackschicht beim „Verfall“. Beide sind momentane Phasen einer Entwicklung eines natürlichen oder künstlichen Materials. Das jährliche Erwachen der Natur, die unermüdliche Kraft, sich von selbst zu erneuern, berührt den Menschen, doch auch das Verfallende hat die Fähigkeit in uns Gefühle zu wecken. Durch die „durchlebten“ Veränderungen wird auch das künstliche Material lebendig, es erzählt Geschichten. Die Änderungsfähigkeit der Natur ist uns bewusst, das allmähliche Fortschreiten der Zeit – bedeutet eine Wandlung.

Das gilt für das Lebende als auch für das Unbelebte, für das künstlich Geschaffene. Es steht uns mit seinen vielen Gesichtern gegenüber; die verschiedenen Zustände eines künstlichen Materials sind auch Wandlungen seiner Selbst – die Wirkungen, die in uns Gefühle erwecken, beruhen beim künstlichen wie beim natürlichen auf der Narrativität. Änderung bedeutet: Das Material steht in Relation zu sich selbst, es ist dasselbe, doch durch die zeitliche Änderung erhält es ein „anderes Gesicht“. Es fühlt sich jetzt anders an und sieht anders aus, verglichen mit dem, wie es früher ausgesehen hat und im Lauf der Zeit vielleicht aussehen wird. Beim Anblick von Materialien weiß man: Es gibt verschiedene Ist-Zustände. Diese fallen in unserer Vorstellung beim Anblick und bei Berührung ineinander.

Sowohl das „Frische“, als auch das „Verfallene“ kann berühren. Das eine verschmutzt und altert, das andere besteht und bleibt sauber. Durch ihre besondere Wesensart schaffen beide Oberflächen etwas zu erzählen, etwas in uns zu bewegen und zu erwecken, sie sind in ihrem „besonderen“ Zustand (weil sie eben auch andere hatten und haben werden) Atmosphärenträger:

„Das Speicherbewusstsein ist seit unvordenklicher Zeit Ursache und Wirkung und so weder unveränderlich – endlos noch ohne Kontinuität oder von folgenloser Vergänglichkeit. Das heißt, dass in ihm seit jeher jeden Augenblick Wirkungen entstehen und Ursachen vergehen. Weil Wirkungen entstehen, vergeht es nicht folgenlos, weil die Ursachen vergehen, besteht es nicht endlos. Weder folgenlos vergänglich noch unverändert – endlos zu sein: das ist das Prinzip des Entstehens in Abhängigkeit.“ / Gregor Paul – Philosophie in Japan

Alles ändert sich mit der Zeit, ob planerisch beabsichtigt oder nicht: Material, und damit auch alles Geschaffene altert. Manchmal altert sogar der Ernst der Dinge. Man kann diesen Prozess entweder in die Planung einbeziehen und als „Effekt“ „verwenden“ oder man versucht ihn zu verhindern:

 

1. Das Material darf altern. Hier bedeutet Veränderung, Alterung und Zerfall oder Verschmutzung etwas Positives – Patina.


2. Das Material ist nur in seinem „neuen Zustand“ vorstellbar. Hier bedeutet Alterung Mangel, das Material oder Produkt ist für ein „Neu – sein“ geschaffen. Der Oberfläche kann (oder sollte) die Zeit nichts anhaben. In Kontakt treten mit dem Material hinterlässt keine Spuren und deutet auf eine Oberfläche hin, die ein Eindringen in das Materialinnere nicht erlaubt.

 

Der Lack steht für die ewige „Frische“, Patina steht für Altern und zeitabhängige Änderung. Nicht nur die elementarsten Bestandteile des Geschaffenen bestehen aus verschiedenen Materialien, wir sind überall bis zum kleinsten Baustein von Materialien umgeben. Daher ist es legitim und wichtig sich auf das Material zu konzentrieren und das Material auf seine Veränderbarkeit und Zusammensetzung zu untersuchen. Was erzählt mir das Material, was berührt mich daran und warum?

So gibt es zwei Tendenzen der Materialästhetik: Ästhetik der Fehlerlosigkeit und Perfektion, die zeitlos, immer gleich oder ewig (ideell) ist und die Ästhetik der Veränderung in der Zeit. Diese Oberflächen gewinnen beim Altern an Ausstrahlung durch Bewitterung, Berührung und Benützung. Durch die Zeit werden Spuren sichtbar, Patina entsteht.

Den abgetretenen Teppichen sieht man die vergangene Zeit an. Ihr Zustand lässt sich nicht imitieren. Die durch die benutzung freigelegten Materialschichten sind sichtbar geworden: Gewebe und Knüpffäden. Das Ästhetische besteht darin, dass sich dieser Zustand nicht einfach so „herstellen“ lässt, denn eine solche Oberfläche entsteht langsam, von „selbst“. Um diese Spuren der Abnützung sichtbar werden zu lassen, braucht es Zeit. Durch das Freilegen wird auch die Konstruktion in ihrer Mehrschichtigkeit sichtbar: Der Teppich zerfällt in seine Bestandteile und diese sind bestrebt in ihren „ursprünglichen“ Zustand zurückzukehren.

Noémi Kiss

 
ATMOSPHERE – Material subject to time

 

 

The impermanence of the material stands for its frailness and weakness. And this is how we humans affectively connect with it as it reminds us of our own mortality.

Time helps us put all our experiences into two categories: before and after. It passes, it elapses, and it goes by. From a general point of view, Carpeted Carpets stands for two different conditions of material. One can easily imagine what the meanwhile foot worn carpet must have looked like when new, but also how the layer of paintwork will decay. What we get here is a glimpse of a moment of how material changes over time – one being natural, the other one artificial. When nature awakens in spring it has the great power of deeply touching us humans as it shows us its tireless strength and will to renew itself again and again. Decay has a similar power of arousing feelings in us. Even artificial material comes alive by undergoing transformation and telling us stories of its past.

We all are fully aware that nature and all living beings are subject to continuous change and transformation in the course of time. But we may not have realised that this is also true for inanimate things and artificial objects. They too show us their many faces. They too undergo transformation. What arouses feelings in us is the narrative power of both natural and artificial materials. Change means that each material is directly related to itself; it is always the same. What changes though as time goes by is its face, so to speak. Perhaps it feels different or looks different compared to what it was like before or how it will be in the future. When we look at materials or touch them we realise instantly that there is not just one single state they can be in.

Freshness and decay can touch us alike. While one gets dirty and ages the other one subsists and stays clean. Both surfaces become narrators as they display their individual characters; they move us, they stir up something in us. In this particular current state (that is different from any they have ever been in) they become carriers of atmosphere.

Everything changes over time, whether planned or not: Any material and therefore anything made of it ages with time. Sometimes even the seriousness of things changes; a process that can either be part of one’s planning and used for some kind of effect or be deliberately avoided altogether. There are two very different approaches:

 

1. Material may age. Change, aging, decay or dirt are welcome and positive. We call it patina.

 

2. Material is only good when new. Aging is equivalent to fault. This material or any product made from it has been created to stay new. Time cannot (or should not) alter its surface. Getting in contact with such materials does not leave any mark and suggests a surface that keeps anyone from penetrating into its interior.

 

Varnish stands for eternal freshness, patina for aging and change over time. We are constantly surrounded by all sorts of materials. Even the most elementary components of anything made by people consist of several different types. It is therefore legitimate and important to have a closer look at each material and find out how it changes and what it is made of. What does this material try to tell me? What do I find so moving and why?
So, we can observe two different tendencies in material aesthetics: one that worships perfection and flawlessness – always the same, ideal and eternal; and another one that reveres change over time – surfaces gain when getting older through being touched, weathered or used. Time leaves marks here and there, patina comes into play.

Foot worn carpets are witnesses of their past. One cannot simply copy them. Wear and tear has scraped off layers of material and revealed their tight weave and some single knots. Aesthetics here is to be understood as a state that cannot be produced intentionally. Such surfaces develop slowly and on their own. It needs time till these marks of wear and tear become visible to the eye giving us, furthermore, a deeper insight into the multiple structure of the carpet. It disintegrates into its components which in turn strive to return to their original state. Übersetzung Rosina Bruckner