KULTIVIERTE WILDNIS  -  GARTENKONZEPT

 

Die VON SELBST gestalteten Gärten sind: Ein Stück Erde, ohne besondere Pflege begrünt, der Natur zurückgegeben. Nicht unbeeinflusst vom Menschen – doch unbetreut zur freien Entfaltung. Hier wachsen Pflanzen frei und ungestutzt, so wie es ihnen eigen ist.

Noemi Kiss Garten Kultivierte Wildnis


Ein angelegter Garten als ein abgegrenztes Stück Land diente seit jeher nicht nur um einen Ertrag zu ernten, sondern hatte immer schon einen spirituellen Zweck: Die Erholung. Jedoch gerade unsere Hausgärten zählen zu den am intensivsten gepflegten Lebensräumen im Bezug auf den Einsatz von Arbeitskraft, Pestiziden und Düngemittel. Unser übertriebener Ordnungssinn lässt uns zuviel mähen, kehren, jäten und stutzen. Mit der „Pflege“, ein rein aus Gewohnheit angerichtetes Zerstörungswerk, wandelte sich auch unser Naturbild: Erst wir Menschen kamen auf die Idee, dass zB. Blätter unter Bäumen „unordentlich“ wirken oder als hässlich „empfunden“ werden könnten.

VON SELBST will einem Garten statt zu viel gestalterischen Eingriff seine Seele zurückgeben. Das Bedürfnis nach dem verlorengegangenen Paradies, die Sehnsucht nach dem Märchenhaften und Wilden ist existent. Wie soll sich in einem aufgeräumten, übersichtlichen und zu Tode geplanten Garten oder Park Rotkäppchen verirren können?

Um das Märchenhafte wiederzufinden, muss man aus den gewöhnlichen, Sicherheit vortäuschenden Ordnungsbildern, die beengen und einschränken, ausbrechen und den Betrachter des Gartens an jene Grenze führen, wo er im Regelfall Angst vor Kontrollverlust zu spüren beginnt. Genau hier wird das kultivierte Bild der Wildnis gesetzt, seine Einzigartigkeit liegt im Aufbrechen von Gewohnheiten. Durch das Vereinen von üblicherweise getrennt angebauten Pflanzengruppen, wie Nutz-, Zier- und Wildpflanzen entsteht eine ungewöhnliche und überraschende Vielfalt. Die Atmosphäre durch Synergien zwischen Pflanzen und das Verweben zu einem schönen wilden Durcheinander sorgt für die Erzeugung des Phantastischen.

Die Grundleistung VON SELBST ist die Initiierung, ein geschickt angelegter Beginn. Die Einzigartigkeit der Idee des inszenierten Selbst ist ein Aufruf zum weiteren „Nichts tun“, nachdem das Pflänzchen gesetzt ist. Das Innovative ist der Gewinn eines neuen Ästhetikbegriffes, der durch ein Loslassen entsteht, um natürliche Prozesse wie Werden und Vergehen sichtbar zu machen. Mit einem dauernden Bewuchs als schützende Bodendeckung verringert sich der Arbeitsaufwand, dadurch die Kosten, eine Bewässerung wird unnötig. Man schafft ein unabhängiges System mit unabhängigen Pflanzen. Ein Stück Erde der Natur, durch nicht mehr angreifen, zurückzugeben bedeutet für die angesetzten Pflanzen an diesem Ort ein ungestörtes Bleiben dürfen (Öko Aspekt). Gleichzeitig bietet genau dieses, der Natur „zurückgegebenes“ Stück Garten uns auch täglich ein anderes Geschenk: Eine Kirsche, ein Apfel, hochgeschätzte Kräuter, Blumen und andere Überraschungen. Nicht eine Betrachtung aus der Weite, erst das Mitten drinnen sein, das Riechen, Hören und Berühren kann helfen Träumen zuzulassen und zu den vergessenen Welten aus der Kindheit wieder Brücken zu schlagen. Die Aufgabe VON SELBST ist Stimmungen zu erzeugen, die durch vertraute Sinneseindrücke Emotionen und Erinnerungen erwecken: Jenes Phänomen des schönen, wilden Durcheinanders ist die Erinnerung an die Begegnung mit der verlorenen Märchenwelt, mit Feen, Elfen, Froschkönig und Frau Holle.

Ein derart entstandener Garten ergreift, weil man gerade im eigenen Garten „frei sein“ und „wachsen dürfen“ ermöglicht. Zwischen nachhelfen und einschreiten hat man selbstverständlich die Kontrolle darüber, ihn auch ganz anders zu gestalten: Diese großzügige Geste des „Erlaubens“ macht frei. Ein neues Lebenskonzept wird ablesbar, statt ausschließlich das Schöne und das Blühende zu präsentieren, wird „wachsen wollen“ in den Vordergrund gestellt, es entwickelt sich ein Bewusstsein für natürliche Prozesse, wie für das „noch nicht“ schöne Keimende und für das „nicht mehr“ schöne Vergehende.

Das Projekt steht für grüne Inseln auf kleinstem Raum oder auch großzügig angelegt. Es entstehen beständige Inseln der steten Veränderung und Besinnung – stetig von der Natur bewegt, stetig im Zustand des Entstehens, als Zusammenleben von Mensch und Vegetation am Weg zur Gleichwertigkeit von Architektur und Flora. 

Besonderen Dank an Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Holzner Zentrum für Umwelt- und Naturschutz, Department für Integrative Biologie und Biodiversitätsforschung, Universität für Bodenkultur, Wien