Dezember 2013 DESIGN DIARY stilwerk HAMBURG  -  Im Netz der Spinnenwände Interview mit Birgit Gebhardt

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Noemi Kiss Andreas Reichl Produktion KISSTHEREICHL UNIKATESSEN 2012 Wien

Bei meinem Besuch im Wiener Concept Store Unikatessen sind mir an einer Wand ungewöhnliche spinnenförmige Intarsien aufgefallen, die sich bei näherer Betrachtung als eingelegte Teppichkollagen in Beton herausstellten. Gegenüber, im Cafe Aromat, hing – an Nägeln befestigt – eine Teppichinstallation, die mit Synapsen-ähnlichen Knoten übersät war und im stilwerk Wien habe ich neben dem Büro der Vienna Design Week eine weitere knallrote Teppichspinne entdeckt. Schöpferin aller Fundstücke ist die Architektin Noémi Kiss, die uns im Interview ihre Kreationen näherbringt:

Frau Kiss, wieso krabbelt und verzweigt sich alles auf Ihren Wänden und Wandobjekten?

Mühsam von Hand geknüpft oder gewebt, erzählen Teppiche Geschichten, die an ihnen haften oder in sie verwoben sind. In vielen Kulturen sind deren Muster stark aufgeladen. Ob wertvoller Ausstattungsgegenstand oder Symbol für den Paradiesgarten und Platzhalter für das Gebet – der ornamental mit Pflanzen und Tiersymbolik gemusterte Teppich hat viele Bedeutungen. Ich bediene mich dieser starken Symbolik. Ob ausgeschnitten oder bemalt, stets kommt die ursprüngliche Ornamentik in neuer Form durch. Die Silhouetten heben sich vom Untergrund und ihr neues Dasein ist gekennzeichnet durch eine beängstigende Lebendigkeit.

 

Teppichintarsien auf der Wand neben einem Kissen aus Beton

Warum gerade Spinnen und alte Teppiche? Spielt Recycling eine Rolle?

 

Diese Teppichobjekte habe ich für das Ausstellungsgelände der OK Linz produziert, damals noch unter Kissthereichl, mit Andreas Reichl. Es ging um das scheinbar Hässliche. Insekten sind gleich unbeliebt, wie abgenutzte Teppiche. Motiv und Untergrund verstärken sich hier gegenseitig. Das Unbeliebte darf beliebt werden und sich über einen neuen Wert freuen. Ich verwende jedoch nicht durchaus alte, abgetretene Teppiche, die niemand mehr mag. Mich interessiert in der Teppich-Betonkombination auch die Paarung von etwas Wertvollem wie einem Perserteppich mit einem profanen Baumaterial. Manchmal arbeite ich daher auch ein paar sehr edle Schmuckstücke, wie wertvolle Stickereien ein.

 

Tisch mit Betonintarsie

Wenn man Ihre Beton-Teppichwerke sieht, möchte man mit den Händen überprüfen, was die Augen sehen…

 

Das ist beabsichtigt, denn wir sind heute nur noch perfekte Oberflächen gewohnt. Alles ist beschichtet, lackiert – und häufig fake. Ich bin Architektin und möchte die Materialität- und Authentizität zum Ausdruck bringen. Ich möchte das Material pur, mit seiner Härte wie auch seiner Verletzbarkeit zeigen. Die ursprüngliche Materialechtheit unterstreiche ich, durch den Kontrast von weichen oder spröden Qualitäten. Wirkungen, die in uns Gefühle erwecken, beruhen auf der Narrativität. Beim Anblick von Materialien weiß man: Sie haben ihre verschiedenen Ist-Zustände. Diese fallen in unserer Vorstellung beim Anblick und bei Berührung ineinander. Wenn das Material, wie der abgenützte Teppich altern darf, bedeutet Veränderung etwas Positives: Patina. Abgetretenen Teppichen sieht man die vergangene Zeit an. Ihr Zustand lässt sich nicht imitieren. Durch die Benutzung werden die Materialschichten freigelegt: Gewebe und Knüpffäden. Die Ästhetik besteht darin, dass solche Oberflächen langsam, von selbst entstehen. Um Spuren sichtbar werden zu lassen, braucht es Zeit – im Gegensatz dazu geht es heute oft darum durch undurchdringbaren Oberflächen diesen Zeitfaktor auszuschalten.

 

Betonkissen mit Teppichintarsien

Mit den hart-weich Assoziationen führen Sie aber auch gezielt in die Irre…

 

Ja, das mache ich mit den Betonkissen, die eine ganz kuschelige Oberfläche suggerieren oder mit den Hockern, dessen absolut glattes und umnähtes Lederpolster sich beim Besitzen als Betonklotz herausstellt. Heute kann Beton tausend Oberflächen simulieren. Wenn man diese mit unseren Sehgewohnheiten konterkariert, ist das die perfekte Täuschung. Dann will man das Objekt berühren, um sicher zu sein, was man da vor sich hat.

 

Hocker aus Beton mit Teppichmuster

Wie stellen Sie die filigranen Intarsien und perfekten Übergänge her?


Die digitalisierte Form wird aus dem Teppich herausgelasert. Der Rest ist Berufsgeheimnis. Eine ungeölte Holzschalung erzielt eine raue Oberfläche des Betons. Beton bietet ja grenzenlose Möglichkeiten. Mittlerweile arbeite ich mit der international erfolgreichen Budapester Firma IVANKA Studio und Concrete Factory zusammen, die dem Werkstoff Beton eine unglaubliche Perspektive in Richtung Design gegeben hat.

 

Intarsien auf einer Betonwand Noemi Kiss mit KISSTHEREICHL im Unikatessen Conceptstore

Und wo würden Sie Ihre Stücke einordnen? Kunsthandwerk, Dekoration, Produktdesign?

 

Kunst. Die Gestaltung eines Serienproduktes ist Design. Der Betonsitz mit der supersoft abgeschliffenen Oberfläche, als reproduzierbares Möbelstück, fällt unter Design.

Wie lange arbeiten Sie schon mit Beton?

 

Mit Beton seit einem Jahr, mit Teppichen seit 2011. Mit meinem  damaligen Partner Andreas Reichl. Das waren eingefärbte Teppiche, mit Acrylfarbe bemalt oder mit Siebdruck bedruckt. So ein Teppich nimmt kübelweise Farbe an und das traditionelle Muster scheint dennoch durch. Wollfarbe leuchtet anders als die Acrylfarbe. Schon diese Teppiche waren nicht zum Wohlfühlen, sondern eher als Wandschmuck gedacht. Der Teppich fasziniert mich weiter, aber heute eher in Kombination mit Beton und anderen Materialien. Für Mailand arbeite ich gerade an weiteren Beton-Teppich-Objekten, als Möbelkollektion, diesmal mit abstrakteren Formen und ich überlege Teile des Teppichs mit einem zweiten Muster aus Blattgold zu überziehen.

Objekte:

•    Spinne im 3. OG des stilwerk Wien, neben dem Büro der Vienna Design Week bis Mitte Januar 2014; www.stilwerk.at

•    Beton-Umkleidekabine mit Spinnenintarsie im Unikatessen Conceptstore in der Margaretenstraße 45, Wien; www.unikatessen.at 

•    Gegenüber im Cafe Aromat der dreidimensionale Neronennetze-Teppich; www.arom.at 

•    Betontisch beim Charly Walter Styleconception, Innsbruck; www.styleconception.com/designart/

•    Auf dem Salone del Mobile im April 2014 in Mailand in Kooperation mit IVANKA Factory